Mittwoch, August 30

Der Indische Umgang mit IT, 30.08.06

Vorweg: IT geniesst in den indischen Medien einen schon fast mythischen Ruf und die CEOs von Tata, Infosys und WiPro sind gefeierte Stars. Nach vier Wochen Projekterfahrung in Teams, in denen ich der einzige Nicht-Inder bin, erlaube ich mir langsam die Frage, warum ausgerechnet die IT in Indien zum Exportgut wurde. Etwas bösartig denke ich mir: "Weil niemand in Indien IT will." Während beispielsweise die marokkanischen Staatsbahnen schon 1998 einen anständigen Website hatten, muss man sich bei den indischen Nationalbahnen PDFs mit Landkarten herunterladen, auf denen dann die Liniennummern der Bahn eingezeichnet ist, worauf man sich dann auf einem weiteren PDF seitenlange Tabellen herunterladen muss. Weiters gibt es dann Preistabellen mit km-Preis-Tabellen, wobei aber nirgends Distanzen zu finden sind. Auf dem Website der staatlichen Indischen Airline hat es direkt im Hauptmenu Links, die ins Nirvana führen. Und das Bezahlen eines Fluges in einem Reisebüro voller (Uralt-)Computer per Kreditkarte wird zum Alptraum. 40 Minuten lang haben 10 Mitarbeiter hin- und hergeschrien, einer ist mit meiner Kreditkarte in der Hand ins Nachbargebäude gerannt. Als ich dann noch eine Rechnung verlangte, musste das Projektteam vergrössert werden und schlussendlich hatte ich drei verschiedene Belege mit drei verschiedenen Preisen in der Hand: einmal der Ticketpreis, dann mit grossem Rundungsfehler die Rechnung und nochmals mit Rundungsfehler die Kreditkartenbelastung. Selbst in Luxushotels ist der Check-Out-Prozess immer mit Komplikationen verbunden, die zu spontanen Krisensitzungen mit mindestens drei Beteiligten führen. Am Freitag standen alle Computer im Hotel still - ein Check-Out war nicht möglich (jeder Gast, der trotzdem gehen wollte, musste eine Bevollmächtigung unterschreiben).

Das normale Telefon ist ziemlich unbrauchbar (immer wieder Ausfälle), ISDN schon etwas besser und das Mobilnetz am besten, wobei ich auch jeden Tag ein Problem habe: einmal lehnt mich der Provider ab, einmal geht SMS nicht (oder es kommt die identische SMS 10* hintereinander), einmal die Datenübertragung nicht etc. Von der Firma aus, geht auch telefonieren nur schlecht (immer wieder Aussetzer, manueller Providerwechsel nötig). Durch irgendeinen grossen Blackout in Mumbay gehen seit Tagen viele indische TV-Sender nicht mehr (das Hotel entschuldigt sich dafür), während es hier zwar täglich Stromausfälle gibt, aber immer nur sekundenlange. Ich mache das Hotel aufmerksam, dass man bei meiner Schreibtischlampe die blanken Drähte sieht, worauf das Personal die Lampe entfernt und nie mehr einen Ersatz bringt.

Will ein Mitarbeiter an einem Schreibtisch einen Computer anstecken, kommt der IT-Supporter stets mit einem Schraubenzieher, weil sämtlich LAN-Kabel geflickt sind. Und die IT-Krankheit schlechthin ist, dass alles nur auf Zuruf geht und alles sofort und schnell gehen muss. (Vorteil: auch Manager brauchen keine Agenda, denn entweder trifft man sich sofort oder nicht) Das führt zu FIAT (Fehler in allen Teilen), Hektik und langen Arbeitszeiten. Ein Chef inkl. sein ganzes Team arbeitet hier durchschnittlich 12 Stunden am Tag und am Samstag wie auch Sonntag meist von daheim, wobei er alle seine Mitarbeiter abwechselnd anruft. 90% der Zeit geht mit Ausnahmesituationen darauf (plötzliche Meetings, plötzliche Aufträge, plötzliche Beschwerden). Ein Grund dafür ist, dass man immer wieder Leute antrifft, die schlichtweg zu dumm für ihren Job sind (hat nichts mit Qualifikation zu tun - eine Erfahrung, die ich in dieser Form anderswo noch nie so gemacht habe). Hat mir doch wirklich einer, obwohl ich "no, no, no" gerufen habe, am Root-Verzeichnis ein Datenbankfile hingeknallt, welches ich jetzt nicht mehr verschieben kann, weil sonst die Applikation nicht mehr läuft - dafür hat er das in 5 Sekunden hingekriegt. Ausserdem muss man immer mit einem Memorystick herumlaufen. Der Gesprächspartner wird nämlich darauf bestehen, das File sofort zu bekommen und nicht 5 Minuten später per Email, denn er weiss aus Erfahrung, dass was nicht sofort geschieht, nie geschieht. Vor kurzem erwähne ich in einem Gespräch, dass wir für das Projekt eine zusätzliche Ressource brauchen. Der Chef unterbricht das Gespräch, er telefoniert wie wild durch die Gegend und 5 Minuten später steht ein (armer) Typ auf der Matte, der nun für die nächsten 8 Wochen zu 100% im Projekt ist (keine Ahnung, wofür er sonst vorgesehen wäre :-).

Und dann frage ich mich immer wieder: Warum kann nicht nur ein einziges Mal etwas auf Anhieb klappen? Und warum kann man nichts aber auch gar nichts kurz und bündig machen?

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

/LOL, jemand hat ein Los für die nächsten 2 Monate gezogen 8-)

Gibt es trotzdem einige (wenige) Leute in deiner Indien-Umgebung, die sich Zeit zum Nachdenken und für das Konzipieren beständiger Lösungen geben?

/Carlos

4.9.06  

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