Freitag, August 18

Nachwirkungen des Kastensystems sind nicht zu übersehen, 18.08.06

Immer wieder bin ich erschüttert über die Ausbeutung des Personals. "Höhere" Leute (d.h. Mittelklasse, sprich meine Arbeits- kollegen) führen sich in ihrem Umfeld wie kleine Kaiser auf. Ein Mietwagen, den man wie in Indien üblich immer inkl. Chauffeur mietet (wohl billiger als der Sprit), bringt uns täglich um ca. 7:45 vom Hotel zur Firma und zurück. Der Chauffeur bleibt dabei den ganzen Tag im Auto und wartet ohne irgendeine Zeitangabe unsererseits, bis wir aus dem Büro kommen. Gestern ging's bis 20 Uhr (natürlich sagt man ihm nie Bescheid, dass es ziemlich spät wird). Zur Abwechslung lassen wir uns zu einem Pizza Hut führen. D.h. der Arbeitstag des Fahrers dauert nochmals zwei Stunden länger und er muss schön vor der Tür der Pizzeria warten, bis wir fertig sind. Überstunden werden nicht bezahlt und ein Fahrer erzählt mir, dass er meistens 7 Tage pro Woche arbeitet. Wann wie wo so ein Fahrer zum Essen und Schlafen kommt, hat sich niemand überlegt.

Mein Kollege hatte sich am Mittwoch unglaublich aufgeregt, dass es im Flugzeug nur "Veg-Menu" gab (was die Mehrheit der Inder bevorzugen). Heute rief er nochmals an und beschwerte sich bei der Airline.
Zurück zur Firma: Dass uns Wasser, Kaffee, Tee, Cola am Schreibtisch persönlich serviert werden, daran habe ich mich schon fast gewöhnt. Insgesamt führt das ganze System des Bedientwerdens zur totalen Unselbständigkeit. Ohne einen Chauffeur würde z.B. ein Chef nie zu seinem Büro finden (in unserer Umgebung gibt es auch keine beschilderten Strassen und so was wie Stadtpläne oder Karten gibt es für Randregionen nicht). Die Unselbständigkeit und die Fokussierung eines jeden einzelnen auf seine "Kernkompetenzen" nährt die Unwissenheit und reduziert massiv die Servicequalität (darüber später nochmal). Die Herumkommandiererei geschieht allerdings nur dort, wo die Rollen klar gegeben sind. Ob in einer Firma jemand ein bisschen höher oder tiefer gestellt ist (z.B. Vizedirekter - Prokurist) spielt keine grosse Rolle, hier überwiegt das Wir-Gefühl. Der Arbeitsstil ist innerhalb von Gruppen sehr kollegial.
Es ist jetzt zwei Wochen her und es regnet praktisch immer noch ununterbrochen. Die Strassen sind vollkommen ausgeschwemmt und die Farbe der meisten Autos ist nicht zu erkennen. Trotzdem habe ich noch nie einen Regenschirm gebraucht und meine Schuhe sind immer noch blitzblanksauber, da ich überall und jederzeit mit dem Auto abgeholt werde. Ich wünschte, ich könnte die 50 m zwischen Pforte und Büro zu Fuss bewältigen. Ich fühle mich richtig gefangen. Ich gehe in der Mittagspause 500m im Firmengelände spazieren. Das tut gut!
Die Pforte sieht übrigens ähnlich wie eine Bahnhofswartehalle aus, voll von Fahrern die den ganzen Tag ihren Chefs zur Verfügung stehen.