Freitag, August 25

Fotoblog: Frauentreff, 26.08.06

Der schönste Park von Pune: Wir würden für ein Picknick den Rasen wählen, Inder wählen die Pflastersteine. Beides hat Vor- und Nachteile, Müll ist sowohl am Rasen wie auf den Pflastersteinen.

Wetter und sonstige üble Sachen, 25.08.06

Wer in der Schweiz lebt oder schon mal in Irland Urlaub gemacht, scheint zu wissen, was schlechtes Wetter ist. Er hat aber noch nie wirklich schlechtes Wetter gesehen, sprich 3 Monate ununterbrochener Regen, mal stärker mal schwächer, mal mit kurzen Aufhellungen und das ganze bei 95% Luftfeuchtigkeit und 26 - 30 Grad. Der dunkle Himmel, die grauen Schotterstrassen mit Wasserlachen, die Wellblechhütten, der Gestank und der Lärm sind wohl nichts für jemanden mit depressivem Charakter. Was das besondere an folgender Wetterprognose ist??? Zum ersten Mal seit ich hier bin, wurde nicht "Rain" angekreuzt. Jetzt, am Abend, weiss ich, dass es eine Fehlprognose war.
In den ersten zwei Wochen hat mir eigentlich körperlich das Wetter überhaupt keine Schwierigkeiten bereitet, und ich meint, für mich ist das Wetter kein Problem. Diese Woche bin ich aber total erkältet, einen Tag musste ich sogar das Bett hüten. Schliesslich liess ich mir heute vom Betriebsarzt Antibiotika verschreiben, der Chef schickte seinen Fahrer auf Beschaffungstour, und ein paar Stunden später habe ich die Tabletten in genauer Stückzahl in Folie ohne Verpackung am Schreibtisch.

Donnerstag, August 24

Die Schlaglöcher des "Emerging Industrial Hubs": Rapidigm zeigt Kreativität, 23.08.06

Inder können sehr kreativ sein. Beispiele:
  • Beispiel1: In einem Artikel, in dem es darum geht den Gründen nachzugehen, warum Pune innerhalb von 40 Jahren von einem Rentnerparadies reicher Kolonialengländer zu einer dermassen hässlichen und chaotischen Region wurde, wird Pune als "emerging industrial hub" bezeichnet.
    Die Sache mit den Schlaglöchern in Pune wird inzwischen zum Politikum. Es ist eigentlich unglaublich, dass es heutzutage auf der Welt eine 3 Mio. Einwohner Stadt gibt, wo die Hauptstrasse eine Schotterstrasse mit derart grossen Schlaglöchern ist, dass jedes Auto auf der ca. 6m breiten Strasse einen Zig-Zag-Kurs fahren muss.
    Schotterstrassen verbinde ich mit Mountainbike und denke sehnsüchtig daran, wie schön es (trotz schlechten Wetters) jetzt in der Schweiz wäre - oder in Österreich oder Frankreich oder Spanien oder USA oder Tschechien oder Zypern oder Istanbul oder Marrakesch oder Ouzazate...
  • Beispiel 2: Zurück zur Strasse: Die Hauptzeitung von Pune bleibt hartnäckig am Thema. Sie zeigt die Consultingfirma Rapidigm, die zur Selbsthilfe greift und ihre Zufahrtsstrasse selbst ausbessert. Sehr professionell und beständig sieht das allerdings auch nicht gerade aus:

    Dann kommt eine Story, dass durch Korruption unfähige Baufirmen zu Aufträgen gekommen sind, die die Asphaltmischung und -temperatur vollkommen falsch gewählt haben. Es entstehen Kommitées, der Bürgermeister droht mit Rücktritt und so weiter.
  • Beispiel 3: Indischer Humor kann unglaublich schwarz sein. In einem Internetforum (welches aber sehr oft nicht funktioniert) lobt einer die Strassen von Pune als Geburtenregelung der indischen Art: täglich wird durch tödliche Unfälle die Bevölkerung dezimiert sowie die Impotenz erhöht, und einige Leser fügen lobende Kommentare dazu.

Pimp My Ride, eine indische Erfindung, 22.08.06

Mindesten 90% der "ordentlichen" Gebäude in Pune sind nicht gestrichene ruinenhaft aussehende, verrusste Betonbauten, die mich jedesmal an die Kriegsbilder aus dem Libanon und Irak erinnern. Im totalen Kontrast dazu werden Lastwagen liebevoll individuell bemalt und das längst vor der "Pimp My Ride" Ära in MTV.


Montag, August 21

Über Lakh, Flaschenprobleme, NRIs und andere indische Besonderheiten, 21.08.2006

Eine kurze Auflistung:
  • Wohl in der ganzen Welt ist eine Million gleich 1'000'000. In Indien sind das 10,00,000 oder auch 10 Lakh. Bei Autopreisen, Budgets, Einwohnerzahlen und überall sonst wo grosse Zahlen im Spiel sind, findet man das Format 1,00,000.
  • Wohl auf der ganzen Welt werden Flaschen nur zu 95% gefüllt, in Indien zu 99,9%. Das Resultat ist, dass es jedesmal eine Herausforderung ist eine Flasche zu öffnen, ohne etwas zu verschütten. In Flugzeugen, in Autos, beim Sport etc. ist es sogar ein Ding der Unmöglichkeit. Ich denke, dass man mit der Flüssigkeit, die die 1 Mrd. Einwohner pro Tag verschütten, wohl einen kleineren Stausee füllen könnte. Andererseits spart man wohl ein paar Lakh PET-Flaschen täglich.
  • Bei Ausländern gar nicht beliebt sind die NRI Rates. Besonders Museen und Parks aber auch viele Hotels kennen einen einheimischen und einen NRI Tarif (Non Resident of India). Ein solcher ist beispielsweise beim Taj Mahal um einen Faktor 300 teurer.
  • Ein weiteres spannendes Thema ist das Schauen von Spielfilmen im Fernsehen. Ich habe noch nie erlebt, dass nicht der Spielfilm durch ein paar Blackouts von einigen Sekunden bis einigen Minuten unterbrochen würde. Krimis werden somit noch spannender und komplizierter, Nachrichtensendungen noch unattraktiver.
  • Indische Shopping-Malls haben durchaus westliches Niveau, die Preise auch - nicht zuletzt wegen der 100% Steuer auf die meisten Importgüter. Eigentliche Schnäppchen sucht man vergebens bzw. das indische (Nicht-)Qualitätsbewusstein verunmöglicht einen Kauf (z.B. Hemd mit unsymmetrischen Kragenenden). Eine Besonderheit ist der Zahlprozess. Man nimmt die Ware, im Gang sind dann mehrere Kassen. Hat man bezahlt, wird die Ware in einen sehr stabilen Plastiksack eingepackt, der dann mit einem Plastikverschluss plombiert wird. Am Ausgang wird kontrolliert, ob alles schön plombiert ist. Beim Auspacken daheim braucht man dann eine Beisszange oder man richtet wegen der mit Gewalt aufgerissenen Plastiksäcke ein Schlachtfeld an.

Wochenende Tag 2: VIP im Royal Horse Club, 20.08.06

Nachdem die Bilanz Tag 1 negativ ausgefallen ist, verlasse ich mich diesen Tag nicht mehr auf Reiseführer sondern ergreife Eigeninitiative. Ich denke mir, in allen orientalischen Ländern sind Pferde- und sonstige Tierrennen beliebt und farbenfroh und das könnte interessant sein, auch wenn Reiter die natürlichen Feinde eines jeden Mountainbikers am Zürichberg sind. Ich beauftrage die Hotelrezeption mit einer Recherche und bald stellt sich heraus, dass heute ein Renntag ist. Der Chauffeur meint wohl ich bin ein Mitglied der High Society und bringt mich nicht zum Stadioneingang sondern zum Clubhaus, doch davon habe ich keine Ahnung. Am Eingang des Clubhauses fragt mich jemand ob ich Club Member sei.
Ich sage, ich möchte nur das Rennen sehen, worauf er von mir einen Ausweis sehen will. OK. Er sagt "herzlich willkommen" und fragt mich dann nach einer Businesskarte. Als Consultant steht natürlich auf meiner Karte ein hochtrabender Titel darauf. Ich denke mir "komische Sitten hier". Aber kurz darauf heisst er, Mr. Trivedis, mich als Gast willkommen, gibt mir seine Karte und sagt, ich könne in nächster Zeit jederzeit kommen. Er führt mich direkt zum VIP-Bereich des Rennens, wo ich aber leider abgelehnt werde, weil ich nicht Hemd und Krawatte trage. Also schnell zurück zum Hotel und dann verbringe ich einen wunderschönen Nachmittag im Turf. Im idyllischen Garten bestelle ich einen Iced Coffee für ca. 80 Cent und rund um mir ist wohl alles versammelt, was hier Ruhm und Rang hat - ich habe das Ticket zur High Society. Es ist alles sauber, grün und ruhig und es der erste Ort in Pune, wo es nicht stinkt. Kurzum: ein kleines Paradies und alles was ich brauche, ist der Security Trivedis Businesskarte zu zeigen. Als "Puner" würde ich hier wohl gezwungenermassen schnell zum Pferdeliebhaber werden.

Wochenende Tag 1: die Absurdität des globalen Tourismus, 19.08.06

Die Aufgabenstellung für dieses Wochenende lautete: "Wie kann man einigermassen sinnvoll 48 Stunden in Pune verbringen?" Im deutschsprachigem Südindienreiseführer sind fast 5 Seiten Pune gewidmet. Im Internet findet man schlicht "Sights in Pune: there is totally nothing to see or do in Puna, it is simply a dusty provincial town". Wo liegt die Wahrheit?
Mein Programm: Auto mit Chauffeur mieten, auf einem Zettel aus dem Führer die Sehenswürdigkeiten aufschreiben und an den Fahrer die Aufforderung "losfahren!". Die Variante "Could you provide me a sightseeing tour" funktioniert nicht - soviel Flexibilität darf man den Fahrern nicht zumuten (Erkenntnis nach den letzten 2 Wochen). Die Tour sieht dann wie folgt aus: im Stau stehen, ein schöner kleiner Park mit einem schönen Landhaus, wo Gandhi viel Zeit verbracht hat. Im Stau stehen. Die schönste Moschee ist wegen Fotoaufnahmen für einen Prospekt in den nächsten Wochen geschlossen. Im Stau stehen. Auf einen Hügel gehen mit einem Kloster und schöner Aussicht auf Pune. Allerdings ist der Hügel nur von Slums umgeben, es stinkt wie auf einer Mülldeponie und ich sehe, dass es in Pune viel mehr Slums gibt als angenommen. Im Stau stehen. In ein altes Fort gehen. Rundherum geschäftiges Treiben und ich mache ein paar schöne Fotos. Im Stau stehen. So weit so gut. Das besondere dabei ist nur, dass ich überall(!) ein paar Touristen antreffe und dies zur totalen Unzeit (Regenzeit!). Die "Sucht" von Touristen, in die entlegendsten Gebiete der Welt sich vorzuwagen und dort Sehenswürdigkeiten abzuhaken, ist wohl unbegrenzt, und die Reiseführer leisten dazu ihren Beitrag. Man muss sich bildlich den Vergleich vorstellen: Ein Inder kommt in die Schweiz, sucht die reformierte Kirche von Uetikon, den Lindenplatz in Altstetten und den Kiosk am Katzensee - dabei steht er zwei Stunden im Stau, zwischen allen Sehenswürdigkeiten stinkt es, er wird von bettelnden Kinder umringt und er zahlt als NRI jeweils das 50fache der Einheimischen-Eintrittsgebühren. Bilanz Tag 1: das Internet hat recht.