Donnerstag, September 21

Mythos "Switzerland", 21.09.06

Welchen Ruf und Bekanntheitsgrad hat "Switzerland" in Indien? Kurzum: sensationell. Ein typischer Taxifahrer hat noch nie etwas von Austria oder Sweden gehört, Australia könnte in Europa sein, aber ein Land wird er sofort kennen: Switzerland. Zugegebenermassen sind die Assoziationen nicht immer richtig "=big city where it always snows", aber immerhin.
An dieser Stelle möchte ich noch Manas Dewan erwähnen. Er sollte von Switzerland Tourism die goldene Ehrenmedaille erhalten. Er ist geschäftlich bald für eine Woche in Deutschland, was mit erheblichen Administrativaufwand verbunden ist (z.B. Fahrt zum Konsulat Mumbai ca. 6 Stunden ein Weg). Er fragt mich, ob ein Stopover in Zürich für einen Tag sinnvoll ist, was ich auf jeden Fall bejahe. Was ich nicht weiss: die Schweiz erkennt das EU-Visum nicht an. D.h. er muss nochmals nach Mumbai, Beilagen zur Beantwortung der Frage "Wie werden die Aufenthaltskosten in der Schweiz bestritten?" einreichen, und, und, und. Zuerst zögert ernoch kurz, doch ein Blick auf www.zürich.ch mit See und Grossmünster überzeugt ihn. Er wird Anfang Oktober zum 1.Mal für 9 Stunden in der Schweiz sein :-)

Zurück in der Schweiz, 20.09.06

Indien ist für mich vorerst abgehakt, und deshalb möchte ich auch diesen Blog langsam ausklingen lassen. Sobald der letzte Post steht, werde ich auch den Gesamtblog als PDF zum Download bereitstellen.

Bevor es so weit ist noch folgende Anekdote: Nach der katastrophalen Fahrt vom Hotel zum Flughafen (2.5 Stunden Stau), schaffte es der Flughafen Mumbai, der so "intelligent" gebaut ist, dass man zum Umsteigen im Minimum(!) vier bis fünf Stunden einkalkulieren sollte und die Zufahrt zum Terminal für ca. 10 Autos Platz hat, meine schlechte Laune in ein lautes Lachen umzuwandeln. Grund:
Summary:
In einem Satz zusammengefasst war das Arbeitsklima sehr gut, ich hatte immer Unterstützung von allen Seiten und fand leicht einen gesellschaftlichen Kontakt zu meinen indischen Kollegen. Die vielen negativen Aspekte wie starke Einschränkung der gewohnten Lebensqualität, täglich 2 Stunden Fahrt im Stau, Lärm und Dreck, Ineffizienzen, unangenehmes Wetter, unglaubliche Umweltbelastungen, schlechtes Essen, unglaubliche Armut, hohe Risiken (Krankheit, Unfall, Betrug) etc. überwiegen bei mir aber. Zuerst nimmt man solche Dinge noch als "interessant" auf, mit der Zeit wird es aber immer unangenehmer (und nicht wegen des Gewöhnungseffekts besser). Der härteste Zeitpunkt war für mich, nach einem kurzen Wochenendtrip in die Schweiz wieder zurückkehren zu müssen. Ich war zwar nie zuvor in Indien, habe mir Indien schlimm vorgestellt, aber nicht so schlimm. Ich meinte, ich hätte ja schon Slums in Südafrika gesehen und mit Marokko auch schon ein Entwicklungsland - aber dies sind vergleichsweise beides Paradiese und zwar für alle Menschen, die dort wohnen. Ich kann auch gut nachvollziehen, dass gerade junge Menschen, Jobangebote internationaler Firmen in Indien nur deshalb annehmen, um ihren "Absprung gen Westen" vorbereiten zu können.

Wie weiter?
Insgesamt möchte ich meine Erfahrungen möglichst schnell verdrängen, dennoch aber ein paar Themen noch aufbereiten, die ich skizziert, aber noch nicht veröffentlicht habe:
  • Mythos "Switzerland"
  • IT-Support: jedesmal dasselbe Spiel
  • Das wöchentliche Hotel-Poker
  • Tipps: Indienferien
  • The Indian Mc Donald's
  • Was funktioniert gut, was schlecht?
  • Phänomen Unselbständigkeit
  • Das Wetter
  • Und immer wieder beschlagene Scheiben
  • Risiko Nr. 1: Autounfall
  • Und überall teure Consultants
  • TGV: es darf geträumt werden
und
  • Mehr und weniger ernst gemeinte Indien-Tipps
Dazu möchte ich noch eure E-Mail Fragen / Kommentare, insbesondere zur Arbeitskultur, beantworten (danke für euer Interesse!) und noch ein paar Schnappschüsse platzieren:
  • Sammeltaxi
  • Kamel auf der Autobahn
  • Mumbai bei Nacht
  • Slums
Wie ich sehe, hat sich da doch noch einiges an Material angehäuft und so wird wohl der Blog noch ein paar Wochen aktiv sein...

Montag, September 18

Indiens Aussichten aus Sicht eines Experten und die üblichen Ineffizienzen, 18.09.06

Ich möchte noch meinen Laptop und mein Handy aufladen und dafür hat das Taj DIE Lösung. Ein Business Center mit allen erdenk- lichen Gadgets (Steckdosen- leisten, Scan- ner, Kopierer, etc.) und das mit Meeresblick. In Business World ein Interview zur Aussicht der indischen Industrie mit Josef Rick, Emerging Markets Experte bei Boston Consulting. Er meint:
  • Prinzipiell sind die Chancen extrem gut, da es noch (auch im Vergleich zu China oder Brasilien) unglaublich viel zu tun gibt (Infrastruktur, Entwicklung der Serviceindustrie, Retail etc.)
  • Ein Riesenproblem ist, dass es kaum Manager gibt, die gelernt haben effizient Firmen zu führen und internationales Business zu betreiben, ein weiteres (aber auch Chance), dass das qualifizierte Personal aus einer Riesenschar Anfängern besteht
  • Indische Firmen müssen erst lernen, was "Kunden" sind und sich wünschen, und dass auf Dauer nur Win-Win-Geschäfts-Beziehungen funktionieren
  • Die grosse Frage ist, ob und welche indische Firmen gegen ausländische Firmen mit indischen Mitarbeitern eine Chance haben (sie haben zwar den Heimvorteil aber der Vorteil der besseren Preisstrukturen fällt dann weg).
Aus meiner Wahrnehmung kann kann ich jeden Punkt unterschreiben und hätte das nicht besser zusammenfassen können.

Zum Thema Ineffizienz:
Am Flughafen treffe ich dann ein GL-Mitglied meines Kunden, ein junger Expatriate, mit dem ich mich sehr gut verstehe. Wir sind am Security Check. Jede Handtasche wird einzeln manuell durchsucht. Kurz vor dem geplanten Take-Off wird klar: das Schaffen sie nie mehr. Dann Chaos (es wird hin- und hergeschrieen, Swiss-Passagiere aufgefordert sich zu melden ,um dann doch nichts zu machen etc.). Der Expatriate wird nervös und flucht. Ich, sehr erstaunt seiner Reaktion, erlaube mir die Bemerkung, dass für ihn doch solche Situationen Alltag sein sollten. Er sagt mir, dass die "Ineffizienzen dieses Landes" jedesmal von Neuen ihn auf die Palme treiben. In den nächsten paar Minuten dann wieder Indien pur. Jeder drängt (auch am Flughafen und auch in der Oberschicht gilt "jeder gegen jeden"), schliesslich werden wir vorgelassen, die anderen fluchen, und das ganze Security System fällt schlagartig zusammen: vorher mussten Frauen ihren Lippenstift abgeben ("No Liquids, no chemicals"), jetzt wird das Handgepäck pseudomässig durchleuchtet (Check am Monitor etwa 1 Sek. und das meiste vom Hardcase des Laptops abgedeckt). Ich finde die Geste symbolisch, denn ich habe das so oft erlebt: es braucht nur den kleinsten Anlass und schon will man von sämtliche Standardroutinen nichts mehr wissen, an die man sich vorher (oft vollkommen unvernünftigerweise) peinlichst genau gehalten hat.

"The Taj Mahal Palace", eine grossartige Entscheidung und ein unverzeihlicher Fehler, 17.09.06

Es gilt nach wie vor als das beste Hotel der Welt: das Taj Mahal Palace in Bombay direkt am Gate of India, dem Zugang zum Meer. Von Königin Elisabeth über etliche Stars bis Bill Clinton, alle waren sie hier. Auch wenn es im Laufe der Zeit etwas an Glanz verloren hat, die Zimmerpreise sind immer noch mit dem Spesenregelement eines einfachen Angestellen unverträglich. Es gibt aber einen eleganten Ausweg ("googlen" lohnt sich halt): Der direkt angebaute Taj Mahal Tower ist ein modernes Business Hotel, welches insbesondere am Wochenende übers Internet sensationelle Preise anbietet, wenn man bedenkt, dass die ganze Infrastruktur des Palace mitbenutzt werden darf. Da ich letztes Mal beim Transfer mitten in der Nacht zwischen Domestic und International Terminal schlechteste Erfahrungen gemacht habe und mir diese Qual mit drei Gepächsstücken ersparen will, möchte ich den letzten Tag im "Taj" ausklingen lassen.
Das Hotel ist schlicht sensationell und dies zum gleichen Preis des gefängnisartigen Le Meridien in Pune. Ein paar Highlights:
  • ein Rundgang durch das Taj Palace, Luxus Pur
  • Frühstück in der Sea View Lounge im viktorianischen Stil
  • der Blick vom 20stöckigen Tower
  • der 20m Swimmingpool
  • zum 1. Mal "Continental Food", welcher auch in Europa in einem Spitzenlokal als solcher durchginge
  • zum 1. Mal ein Zimmer mit Aussicht und einem Balkon, der sich sogar öffnen lässt (geschützt von einem Mosquitonetz)
  • in jedem WC ein Bediensteter, der fürs Helfen beim Händewäschen zuständig ist und auf den Seifespender drückt
  • zum ersten Mal sind weniger als 80% der Hotelgäste übergewichtig und es wird nicht ständig reklamiert (da stark von Europäern und Amerikanern frequentiert)
  • zum ersten Mal in Indien was wirklich Innovatives: man nennt im Restaurant seine Zimmernummer und ab 1 Minute später wird man dauernd mit seinem Namen angesprochen
Einzige Wehrmutstropfen:
  • Um "externe Schaulustige" sofort zu identifizieren, wird man ständig nach der Zimmernummer gefragt
  • Obwohl der Balkon im 15. Stockwert und 50m vom Meer entfernt ist, ist auch hier Müllgeruch wahrzunehmen
Insgesamt aber der ideale Ort in Indien, um den Aufenthalt ausklingen zu lassen (und im Innenhof mit Pool ist Gestank und Lärm kaum wahrnehmbar). So weit so gut.

Dann mache ich aber doch einen unverzeihlichen Fehler, für den ich im Anschluss wieder drei Stunden Erholungszeit brauche. Um sagen zu können, dass ich auch Bombay besichtigt habe, möchte ich noch eine kleine Rundfahrt vorbei an den klassizistischen Gebäuden zu den Hanging Gardens machen. Resultat: nach 3.5 Stunden wird wieder einmal bestätigt, was ich ohnehin schon weiss. Zwar gibt es ein paar schöne Boulevards und ein paar klassizistische Gebäude, doch überall Stau, am Strand stinkt es zum Davonlaufen, die Hanging Gardens können nicht einmal mit dem botanischen Garten der Uni Zürich mithalten (und natürlich auch dort Müll), bettelnde Kinder, lästige Strassenverkäufer, der Chauffeur, der versucht, durch Extratouren mich zum Affen machen, und wiedermal die Erkenntnis, dass die Reiseführer in Indien einfach einen anderen Massstab verwenden, um etwas als "Sehenswürdigkeit" zu bezeichnen.

Schliesslich bin ich aber wieder wohlbehalten im Taj: Bei 95% Luftfeuchtigkeit und 32° ein Cappucchino im Freien und dann ein kühles Bad im Swimmingpool und die Gewissheit, in den nächsten 10 Jahren bestimmt nicht als Tourist nach Indien zu kommen.

Die indische Industrie in ein paar Worten zusammengefasst, 16.09.06

Bauarbeiterin in Pune
Wahrscheinlich ist es vielen nicht bekannt, dass Indien eines der (nicht-kommunistischen) Länder ist, welches noch Protektionismus in Reinkultur betreibt. Auf die allermeisten Waren sind Importzölle von 100% vom Konsumenten zu berappen. Das verzerrt das gesamte Bild der Wirtschaft extrem.
Insgesamt muss man wissen, dass vereinfacht gesagt mit Ausnahme von IT und BPO die indische Industrie (noch) eine reine Binnenindustrie ist. Ironischerweise ist IT & BPO eine reine Exportindustrie.
Somit muss man sehr vorsichtig bei der Interpretation einer Meldung wie "Firma X verlagert Fertigungsprozess nach Indien" sein. Oft wäre die Formulierung "Firma X umgeht Importzölle durch Pseudowerk" zutreffender. Denn der "Trick" die Importzölle zu umgehen ist, die Endmontage / Endproduktion in Form eines Joint Venture mit einer Inlandsfirma in Indien anzusiedeln und somit als Binnenprodukt durchzugehen. Die Automobilmobil oder die Pharmaindustrie sind gute Beispiele dafür. Somit kostet dann ein Mercedes statt $230'000 ($100'000 + 130% Steuern) nur noch $130'000 ($100'000 + 30% Steuern).
Wie geht's weiter? Die Entwicklung ist spannend, denn die indischen Grossbetriebe stehen vor der Entscheidung, die Herausforderung mit der neuen Joint Venture Konkurrenz anzunehmen oder selbst ein Joint Venture mit dem Westen zu gründen, was eigentlich einer "Kapitulation" entspricht.
In Indien ist man westlichen Produkten sehr positiv eingestellt - Stichwort "Qualität", "Service", "Image". Der Chauffeur schwärmt z.B. von seiner Honda. Zum ersten Mal hat er kein indisches Motorrad mehr und ist begeistert: Es war nur geringfügig teurer, aber ist puncto Leistung und Zuverlässigkeit unvergleichbar besser. Ein Kollege erzählt, dass er nur noch Originalnetzgeräte für sein Handy kauft, denn die indischen Produkte geben nach 1 Monat den Geist auf.
Aber auch für die westlichen Firmen ist die Entscheidung nicht einfach, und eine Kosten-/Nutzenrechnung schwierig. In wichtigen Bereichen wie IT haben sich die Lohnpreise noch nicht etabliert (Beispiel: Mitarbeiter will plötzlich 35% Lohnerhöhung, Nachfolger verlangt 50% mehr Lohn etc.). Um die Kosten in den Griff zu bekommen, werden Fabriken oft in Randregionen aus dem Boden gestampft, wo die Arbeitskräfte noch sehr günstig sind und die Umweltauflagen bescheiden. Und oft wird die fehlende Infrastruktur unterschätzt, d.h. Leistungen, die aufgrund von Versäumnissen des Staates von der Firma zu leisten sind (Shuttlebusse / Chauffeure für Mitarbeiter, medizinische Versorgung, Postverteilung via Firmenwagen, Facilitator für Behördengänge, eigenes Reisebüro, unproduktive Warte- und Reisezeiten, Notstromaggretoren, Grünflächen, Lärm- / Gestankschutzwände etc.) sowie, dass im Gegensatz zu uns die Wirtschaft wesentlich mehr misstrauens- statt vertrauensbasiert ist (langwierige Zahlungsabwicklung, Vorauszahlungen, ewige Vertragsverhandlungen, Cash Payment etc.). Dem Konsumenten wird ein grosses Misstrauen entgegengebracht. Nur am Stellenmarkt ist das Gegenteil der Fall (Referenzauskünfte im Bewerbungsprozess wären z.B. undenkbar).

Fotoblog: Reifen eines Taxis, 15.09.06

Es braucht nicht zu verwundern, dass man alle 500m einen Taxi- oder LKW-Chauffeur beim Reifenwechseln beobachten kann.
Dieses Reifenprofil habe ich bei einem stehendem Taxi entdeckt und fotografiert.
Dies und 100 andere Dinge sind wohl die Gründe, dass statistisch gesehen das Risiko eines tödlichen Unfalls pro gefahrenen km nirgendwo auf der Welt grösser als in Indien ist.