Samstag, September 2

Die Schlaglöcher: der Rücktritt vom Rücktritt der Bürgermeisterin, 03.09.06

Wie in einem vergangenen Blog beschrieben, hat die Bürgermeisterin ihren Rücktritt angekündigt, falls nicht innerhalb der nächsten zwei Wochen alle "Pitholes" geflickt sind und somit alle Hauptstrassen wieder uneingeschränkt befahrbar sind. Die Zeit ist verstrichen. Geschehen ist nichts. "Wie sieht's mit dem Rücktritt aus?", will die Lokalzeitung wissen. Rücktritt? Die Bürgermeisterin sieht überhaupt keinen Grund dazu. Statement: "Alle Schäden, die sinnvollerweise bereits während der Regenzeit zu beheben sind, wurden auch behoben und genau das hat sie versprochen und eingehalten." Wahrheit ist in Indien etwas sehr Relatives, das habe ich inzwischen gelernt:





SatzBedeutung
Das Hotel ist ausgebucht.
Der Chef meint, dass wir noch zahlungskräftigere Kunden heute bekommen. (Es ist unglaublich, dass man westlichen Businessleuten für ein Hotelzimmer mit rundherum Slums, Dreck und Lärm den Preis eines Montreux-Palace abknöpft.)
Ich habe keinen Zugriff auf das System.
Ich habe keine Lust gehabt, mich mit dem System herumzuschlagen.
(P.S. In der Regel haben Inder Angst vor allem Neuen.)
Der Flug war ausgebucht.
Ich habe keinen Grund gesehen zu kommen.
Wir haben Schwierigkeiten in der Lieferung des Geschenkes.
Wir wollen (oder dürfen) dich nicht bestechen.

Mittwoch, August 30

Fotoblog: Arbeitsbesprechung unter Sikhs, 31.08.06

Es sei hier erwähnt, dass der Chef gerade erklärt, wie man mit dem Mörtel richtig umgeht. Sikhs erkennt man am bunten Turban. Sie haben in Indien den Ruf richtige Festbrüder zu sein, die auch nicht dem Alkohol abgeneigt sind.

Der Indische Umgang mit IT, 30.08.06

Vorweg: IT geniesst in den indischen Medien einen schon fast mythischen Ruf und die CEOs von Tata, Infosys und WiPro sind gefeierte Stars. Nach vier Wochen Projekterfahrung in Teams, in denen ich der einzige Nicht-Inder bin, erlaube ich mir langsam die Frage, warum ausgerechnet die IT in Indien zum Exportgut wurde. Etwas bösartig denke ich mir: "Weil niemand in Indien IT will." Während beispielsweise die marokkanischen Staatsbahnen schon 1998 einen anständigen Website hatten, muss man sich bei den indischen Nationalbahnen PDFs mit Landkarten herunterladen, auf denen dann die Liniennummern der Bahn eingezeichnet ist, worauf man sich dann auf einem weiteren PDF seitenlange Tabellen herunterladen muss. Weiters gibt es dann Preistabellen mit km-Preis-Tabellen, wobei aber nirgends Distanzen zu finden sind. Auf dem Website der staatlichen Indischen Airline hat es direkt im Hauptmenu Links, die ins Nirvana führen. Und das Bezahlen eines Fluges in einem Reisebüro voller (Uralt-)Computer per Kreditkarte wird zum Alptraum. 40 Minuten lang haben 10 Mitarbeiter hin- und hergeschrien, einer ist mit meiner Kreditkarte in der Hand ins Nachbargebäude gerannt. Als ich dann noch eine Rechnung verlangte, musste das Projektteam vergrössert werden und schlussendlich hatte ich drei verschiedene Belege mit drei verschiedenen Preisen in der Hand: einmal der Ticketpreis, dann mit grossem Rundungsfehler die Rechnung und nochmals mit Rundungsfehler die Kreditkartenbelastung. Selbst in Luxushotels ist der Check-Out-Prozess immer mit Komplikationen verbunden, die zu spontanen Krisensitzungen mit mindestens drei Beteiligten führen. Am Freitag standen alle Computer im Hotel still - ein Check-Out war nicht möglich (jeder Gast, der trotzdem gehen wollte, musste eine Bevollmächtigung unterschreiben).

Das normale Telefon ist ziemlich unbrauchbar (immer wieder Ausfälle), ISDN schon etwas besser und das Mobilnetz am besten, wobei ich auch jeden Tag ein Problem habe: einmal lehnt mich der Provider ab, einmal geht SMS nicht (oder es kommt die identische SMS 10* hintereinander), einmal die Datenübertragung nicht etc. Von der Firma aus, geht auch telefonieren nur schlecht (immer wieder Aussetzer, manueller Providerwechsel nötig). Durch irgendeinen grossen Blackout in Mumbay gehen seit Tagen viele indische TV-Sender nicht mehr (das Hotel entschuldigt sich dafür), während es hier zwar täglich Stromausfälle gibt, aber immer nur sekundenlange. Ich mache das Hotel aufmerksam, dass man bei meiner Schreibtischlampe die blanken Drähte sieht, worauf das Personal die Lampe entfernt und nie mehr einen Ersatz bringt.

Will ein Mitarbeiter an einem Schreibtisch einen Computer anstecken, kommt der IT-Supporter stets mit einem Schraubenzieher, weil sämtlich LAN-Kabel geflickt sind. Und die IT-Krankheit schlechthin ist, dass alles nur auf Zuruf geht und alles sofort und schnell gehen muss. (Vorteil: auch Manager brauchen keine Agenda, denn entweder trifft man sich sofort oder nicht) Das führt zu FIAT (Fehler in allen Teilen), Hektik und langen Arbeitszeiten. Ein Chef inkl. sein ganzes Team arbeitet hier durchschnittlich 12 Stunden am Tag und am Samstag wie auch Sonntag meist von daheim, wobei er alle seine Mitarbeiter abwechselnd anruft. 90% der Zeit geht mit Ausnahmesituationen darauf (plötzliche Meetings, plötzliche Aufträge, plötzliche Beschwerden). Ein Grund dafür ist, dass man immer wieder Leute antrifft, die schlichtweg zu dumm für ihren Job sind (hat nichts mit Qualifikation zu tun - eine Erfahrung, die ich in dieser Form anderswo noch nie so gemacht habe). Hat mir doch wirklich einer, obwohl ich "no, no, no" gerufen habe, am Root-Verzeichnis ein Datenbankfile hingeknallt, welches ich jetzt nicht mehr verschieben kann, weil sonst die Applikation nicht mehr läuft - dafür hat er das in 5 Sekunden hingekriegt. Ausserdem muss man immer mit einem Memorystick herumlaufen. Der Gesprächspartner wird nämlich darauf bestehen, das File sofort zu bekommen und nicht 5 Minuten später per Email, denn er weiss aus Erfahrung, dass was nicht sofort geschieht, nie geschieht. Vor kurzem erwähne ich in einem Gespräch, dass wir für das Projekt eine zusätzliche Ressource brauchen. Der Chef unterbricht das Gespräch, er telefoniert wie wild durch die Gegend und 5 Minuten später steht ein (armer) Typ auf der Matte, der nun für die nächsten 8 Wochen zu 100% im Projekt ist (keine Ahnung, wofür er sonst vorgesehen wäre :-).

Und dann frage ich mich immer wieder: Warum kann nicht nur ein einziges Mal etwas auf Anhieb klappen? Und warum kann man nichts aber auch gar nichts kurz und bündig machen?

Dienstag, August 29

Neu: Kommentarfunktion aktiviert, 29.08.06

Die Kommentarfunktionen scheinen "Anti-Spam-tauglich" zu sein, und somit könnt ihr ab sofort Kommentare zu den Posts abgeben. Kategorie "Anonym" ist OK, aber bitte im Kommentartext euren Namen anführen.

South Asian Games: Spiel der Giganten, 29.08.06

In der Zeitung lese ich im Sportteil "India continue gold rush" und blicke gespannt, um welches Grossereignis es sich da handeln könnte. Und tatsächlich in den South Asian Games, der Olympiade des neu entstehenden "South Asians Sports Hubs" (in Anlehnung an Pune's Hub) rund um die Sportnationen Sri Lanka, Pakistan, Nepal, Bangladesch und eben Indien, räumt letzteres wie blöd ab. Ich werfe einen Blick auf die Statistik und komme zum Schluss, dass die Wertung "sportlichste Nation südlich des Himalya" wegen der geringen Einwohnerzahl wohl an Nepal gehen müsste.
Noch eine kleine Anekdote zu Sport & Indien: Vor ein paar Tagen lese ich einem Artikel, indem den Gründen nachgegangen wird, warum ein Milliardenvolk wie Indien anscheinend noch nie eine olympische Medaille erringen konnte. Die Antwort ist simpel: wenn man für eine Medaille statistisch gesehen ca. 1'000 Leistungssportler braucht, kommt ein Land wie Holland, wo jeder 10'000. Spitzensport betreibt, bei 10 Mio. Einwohner auf 10 Medaillen. Da aber in Indien nur jeder 500'000'000. sich einem solchen Tun frönt, bräuchte Indien einfach VIEL mehr Einwohner.

"Real India" in homöopathischen Dosen, 29.08.06

Heute abend will uns doch gerade ein Kadermitarbeiter ein Steak- und Barbacuerestaurant wärmstens empfehlen ("the best place in town, very continental food, and not expensive"). Bei letzterem Statement erschrecke ich. Auf sein Drängen hin und des meines indischen Kollegen will ich kein Spielverderber sein. Der Schuppen sieht wirklich übel aus, aber innen ist er einigermassen sauber, auch wenn die offenen Mülltonnen links und rechts an der Eingangstür furchteinflössend sind. Im Smalltalk mit dem indischen Kollegen, der 2 Jahre in England lebte, taste ich ab, wie man diese Spelunke einstufen solle und man versichert mir, dass dies ein schicker In-Treff ist. Ich wähle mit Chicken Wings & Pommes das sicherste Menü, doch dies ist (believe me!) wirklich übel genug. Immerhin keine Bauchschmerzen und ich erfahre, dass die baufälligen Betonklötze hinter unserem Hotel alles trendige Restaurants sind - nur dazwischen sind halt ein paar Slums. Ingesamt finde ich es aber wirklich genial, in welch homöopathischen Dosen ich "real India" erfahren darf.

Montag, August 28

Laufend umgeben von Übergewichtigen, 28.06.06

Wer von seinem USA-Aufenthalt meint, er habe die Superlative an übergewichtigen Menschen gesehen, hat noch nie mit der oberen indischen Mittelschicht zusammengearbeitet (Manager, Chefs, Berater, etc.). Zugegeben, Leute mit 150kg und mehr Gewicht sieht man relativ selten, aber dafür sind im Gegensatz zu den USA nicht 50% sondern >90% übergewichtig. Inder essen gerne und viel, am liebsten dreimal täglich warm und Sport ist schlichtweg nicht salonfähig. Die Hotel-Gyms sind für einen "Westler" eine einzige Belustigung. Entweder es kommt ein Koloss im Bademantel und goldener Rolex, der sich im Whirlpool einölen lässt, oder es ist der pubertierender Sohn eines solchen, der kurz mal sich in jedem Spiegel betrachtet, die Hanteln mustert, die 5kg Scheibe kurz montiert und abmontiert, 30 sek am Ergometer herumspielt, sich nochmals im Spiegel betrachtet und dann feststellt, er hätte bei seiner Figur Sport sowieso nicht nötig.
Kurzum es ist wirklich unglaublich. Von unserer indischen Mutterfirma habe ich noch keinen schlanken Mitarbeiter überhaupt gesehen, beim Kunden bin ich umgeben von lauter wichtigen und damit dicken Menschen und alle haben sie ihre Beschwerden (Standardsatz "I need an injection."). Fast schon abartig sind jedoch Lobbies von *****Hotels, welche bei reichen Einheimischen sehr beliebt sind. Das typische Bild: er und sie können sich vor Übergewicht kaum bewegen, er raucht in einem Fort Zigarren, beide mit goldenem Schmuck behangen bis zum geht nicht mehr, am Tisch zwei silberglänzende ultraschlanke Businesshandies und dann das Essen: am liebsten ein "multi cuisines" Buffet, wobei dann doch nur indische Gerichte gegessen werden, dann kommen die Finger für die Nahrungsaufnahme ins Spiel und schlussendlich auch für die "Zahnhygiene". Die Zahnstocher am Tisch werden ignoriert.
Noch unappetitlicher ist nur noch eines: ein Swimmingpool. Lesson learnt nach Woche 1: sie sind tabu. Erstens liegt die indische Jahresdurchschnittstemperatur bei ca. 30 Grad, d.h. das Wasser ist auch zur Regenzeit lauwarm. Und zweitens schwimmt der Wohlstandsinder wie folgt: eine Überquerung im 7*15m Becken der Quere nach. Spuckpause. Eine zweite Überquerung. Spuckpause. Pause. Extraspuckpause. Pause. etc. Als dann auch noch die 100kg Frau mit einem Badeanzug, der selbst die Beine bis zur Ferse verdeckt, sich dem Ritual anschliesst, weiss ich, dass Schwimmbäder in Indien nichts für mich sind.

Sonntagsfahrt ins Grüne, 27.08.06

Indische Städte, Dörfer, Strassen, Plätze, Märkte, Flughäfen, Bahnhöfe, Cafés etc. sind wohl die schmutzigsten der ganzen Welt. Bei den Landschaften ist das Problem, dass von den 1 Mrd. Menschen gut 75% von der Landwirtschaft lebt und dementsprechend viel Fläche von ihr beansprucht wird - grossteils von Kleinbauern, was wiederum grosse Zersiedelung bedeutet. Trotzdem gibt es bekannte "Hide Aways", die - wenn man sich vom schlechten Wetter nicht abschrecken lässt, in der Regenzeit sogar am schönsten sind. Ich liess mich in einem Tagesausflug (gut 3 Stunden Anfahrtsweg) zu einem der bekanntesten Naturregionen überhaupt chauffierend: Mahableshwar. Die Einfahrt begann vielversprechend (siehe Bild). Es zeigte sich aber auch hier, dass man diesen Spruch in einem sehr übertragenen Sinne zu intepretieren hat und Inder wohl inkl. dem Himalaya auf jeden Fleck, wo sie waren, eine Müllspür hinterlassen wollen. Dennoch die Bilanz:

  • Sehr schöne Landschaften, zur Zeit unglaublich grün (stehlen Irland die Show)
  • Die schönen Strassen wären sogar für eine Rennradtour äussert geeignet !!!
  • Ich sehe meinen 1. Affen in wirklich freier Wildbahn (kein Parkplatz etc.)
  • Mit meinem empfindlichen Magen war es gut, in den letzten drei Wochen ausschliesslich in *****Hotels zu essen: nachdem ich höflichkeitshalber einen 2cm grossen indischen, von einer Bude vom Chauffeur gekauften Kartoffelpuffer annehme und auch verzehre, habe ich zwei Stunden später meinen 1. Durchfall in Indien.

Jeden Tag eine gute Tat, 26.08.06

Freitag abend. Langsam geht's mir besser. Am Hotelbuffet ist ein indisches Duo, das Welthits zum besten gibt. Die Sängerin hat eine schöne kräftige Stimme, und jedes Stück wird wie eine Balade gesungen. Sie präsentiert aber ausgerechnet die für sie ungeeignesten Songs: schnelle swingartige Stücke mit dauernd wechselnden hohen und tiefen Tönen. Sie haut dabei kräftig daneben und die hohen Töne bringt sie kaum raus. An jedem Tisch ist ein Formular mit Titelwünschen. Ich überlege mir, wie ich ihr den Abend angenehmer gestalten kann und schreibe drei schöne einfach zu singende Balladen auf, bei der sie ihre Stimme voll entfalten kann. Es dauert keine 5 Minuten und schon höre ich das von mir vorgeschlagenen "Blowing in the Wind". Die nahezu perfekte Performance versüsst mir das Dessert!